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Orchesterbesetzung

3(=picc).3(=corA).3(=bcl).3(=dbn)-4.3.3(=btrbn).1-timp-perc(5):tgl/rachet/rainstick/tpl.bl/SD/BD/cyms/susp.cyms/tam-t/singing.saw/xyl/vib-hp-cel-str

Abkürzungsverzeichnis (PDF)

Verlag:

Sikorski

Vertriebsgebiet
Dieses Werk ist erhältlich bei Boosey & Hawkes / Sikorski in aller Welt.

Verfügbarkeit

Uraufführung
24/11/2015
Liederhalle, Stuttgart
Lera Auerbach / Stuttgarter Philharmoniker / Dan Ettinger
Anmerkungen des Komponisten

„Jedes Werk ist ein Wesen mit einem eigenen Leben, mit Überraschungen, Rätseln - und einem eigenen Schicksal. Dieses Klavierkonzert ist auf ungewöhnlichere Weise entstanden als die meisten meiner anderen Werke. Es hat mich mehr als zwanzig Jahre verfolgt - die Hälfte meines Lebens.

Der Beginn des Konzerts und sein gesamter zweiter Satz haben ihren Ursprung in einem Traum, den ich als Vierzehnjährige hatte, als ich noch in Tscheljabinsk im Uralgebirge lebte. Eines Nachts hörte ich im Traum eine seltsame, hypnotische Musik, die anders war als alles, was ich bisher gehört hatte. Sie unterschied sich auch stark von den kompositorischen Bemühungen, die ich selbst bis dahin unternommen hatte. Ich war so aufgewühlt und bewegt von diesem musikalischen Traum, dass ich mich zum Aufwachen zwang und die wichtigsten Themen niederschrieb. Dieses Erlebnis war ungeheuer stark und hat in gewisser Weise mein Leben bestimmt. Ich hatte komponiert, seit ich vier Jahre alt war, und für mich war dies eine ganz natürliche Ausdrucksmöglichkeit. Aber durch jenen merkwürdigen Traum verstand ich, dass die Musik mich ausgewählt hatte und nicht umgekehrt. Diese Erkenntnis hat mein späteres Leben wesentlich vorherbestimmt.
Lange versuchte ich, eine angemessene Gestalt für diese Traummusik zu finden. Zunächst formte ich sie zu einer Flötensonate, denn ich studierte und spielte am Konservatorium auch Flöte. Das Ergebnis stellte mich jedoch nicht zufrieden. Einige Jahre später, mit siebzehn, machte ich eine Konzertreise in die USA und entschied mich spontan, nicht in die Sowjetunion zurückzukehren und in New York zu bleiben. Ich wurde an der Juilliard School in den Fächern Komposition und Klavier aufgenommen. Mehrmals während meiner Studentenjahre kam ich auf die musikalische Idee, die mich seit jener denkwürdigen Nacht beschäftigte, zurück. Aus dem Material entstand der zweite Satz meines ‚Sinfonie-Konzerts‘, einer meiner allerersten großen Orchesterkompositionen. Ich kämpfte mit Form und Inhalt. Der Werktitel veränderte sich von ‚Sinfonie‘ über ‚Klavierkonzert‘ und ‚Sinfonie-Konzert‘ in das jugendlich prätentiöse ‚Requiem zum Millennium‘. Die Form veränderte sich von einsätzig zu dreisätzig, die Spieldauer von etwa 12 bis 45 Minuten. Ich führte das Werk mit verschiedenen Orchestern in den USA, Russland und Deutschland auf. Letztmals erklang es bei meinem Konzertexamen an der Musikhochschule Hannover. Zum ersten Mal in deren Geschichte wurde es damals einem Examensstudenten erlaubt, die Abschlussprüfung mit einer eigenen Komposition zu bestreiten.

Doch obwohl das Werk relativ erfolgreich war, obwohl ich es zwischen den Aufführungen unendlich oft revidierte, blieb ich unzufrieden. Ich fühlte, dass ich dem musikalischen Material nicht vollständig gerecht werden konnte. Vielleicht fehlte mir die Erfahrung mit Orchesterkompositionen, vielleicht fehlte mir auch einfach die Lebenserfahrung. Dabei schwebte mir schon eine abstrakte Vorstellung des Werkes vor, jedoch in weiter Ferne, unerreichbar. Ich entschied damals, das Werk beiseitezulegen und zu warten, bis ich es besser würde verwirklichen können. Jetzt, mehr als 25 Jahre nach meiner ersten Traumskizze zu diesem Werk, ergab sich die Gelegenheit, darauf zurückzukommen. Ich nahm an, es würde eine einfache und unkomplizierte Überarbeitung werden. Mit der Erfahrung und aus der Perspektive der letzten zwanzig Jahre - wie hätte es denn schwierig werden sollen? Ich irrte mich gewaltig. Als ich dieser Musik erneut gegenübertrat, begegnete ich meinen eigenen Dämonen, meinen alten Ängsten und Erinnerungen - mir selbst. Es wäre viel einfacher gewesen, ein ganz neues Werk zu schreiben. Ich war nicht mehr das junge Mädchen, das den zweiten Satz träumte, und auch nicht die ehrgeizige 28-Jährige, die mit diesem Werk ihr Studium in Hannover abschloss. Ich war nun eine andere Person, in einer anderen Lebensphase. Gleichzeitig aber war in mir etwas sehr Wesentliches wie ein prägendes Leitmotiv erhalten geblieben.

Das Werk handelt von der Zeit und ihren Veränderungen, und dies ist eines der bedeutendsten Themen in meinem gesamten künstlerischen Schaffen. Es handelt von unserem Zeitalter des Verfalls, von den post-apokalyptischen Trümmern des menschlichen Vokabulars, und ist eine Fortführung meines kritischen Dialogs mit der Zeit. Dieses Thema hört nicht auf, mich zu hinterfragen, an mir zu zweifeln und mich zu bedrängen, obwohl ich jetzt viel älter und erfahrener bin, vielleicht aber auch begrenzter und eher geneigt, den grundlegenden Fragen auszuweichen, mit denen mich diese Arbeit konfrontierte.
Ich begriff, dass ich mich dem Konzert auf neue Weise nähern, es im Grunde völlig neu schreiben musste. Ich hatte einen gefährlichen Balanceakt auf einem zweischneidigen Schwert auszuführen: Ich musste mir treu bleiben als der Person, die ich heute bin, ohne die Person, das ich vor zwanzig Jahren gewesen war, zu verraten. Vielleicht hieß das, zwischen mir damals und mir heute eine Brücke zu schlagen, die Unterschiede zu erkennen und auszugleichen. Ich musste das verborgene Leitmotiv finden, das mich wie der mythologische Ariadnefaden mit meiner Vergangenheit verbindet und mich durch ein Labyrinth von Erinnerungen in die Gegenwart führt. Ich wollte die kühne, gar nicht pragmatische, sondern idealistische, träumerische Haltung bewahren, mit der ich mich damals dieser Musik näherte, und diese gleichzeitig durch mein heutiges Wissen und die Erfahrung aus den zahlreichen Orchesterkompositionen (Requien, Sinfonien, Konzerten, Opern und Balletten), die ich zwischen diesen Lebenszeiten geschrieben hatte, anreichern.
Für Orchester zu schreiben, kann eine magische, wundervolle und befreiende Erfahrung sein. Es kann aber auch ärgerlich, schmerzhaft und herzzerreißend sein. Viele kommen über ihr erstes Orchesterwerk nicht hinaus - nicht, weil es ihnen an Talent fehlt, sondern wegen der harten, unbefriedigenden Realität mangelhaft geprobter Aufführungen, verstärkt durch die stumpfsinnige, skeptische oder gar feindliche Haltung mancher Dirigenten, Musiker, Hörer und Veranstalter gegenüber allem Neuen; hinzu kommt ein genereller Mangel an Unterstützung oder ein auch nur grundsätzliches Verständnis dafür, was es bedeutet, etwas Neues zu schaffen und der Welt zu übergeben. Ich habe mehr Glück als die meisten. Ich überlebte. Ich durfte mich entwickeln. Ich schrieb Dutzende von Orchesterwerken. Das Klavierkonzert aber verfolgte mich so lange, bis ich erkannte, dass ich mich ihm neu stellen musste. Und nun ist es soweit.“
Lera Auerbach (Dt. Übersetzung: Jürgen Hartmann)

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